| niederging, wurde die
Farbe leicht verdünnt, was die graphische Härte der
Abdrücke der Fußsohlen abmilderte. Durch diese
Einmischung der Natur wurden einige Tausend Fußabdrücke
verwischt und die Fußspuren wurden
zu grauen Flächen mit sanften Übergängen. Während des
allmählichen Abtrocknens kamen weitere frische
Fußabdrücke auf die Leinwand, welche sich zunehmend
deutlicher und stärker konturiert abzeichneten. Die überraschende Wendung des Entstehungsprozesses erzeugte eine malerische Qualität, welche den manifestatorischen Anlass des Bildes zu einem Gemälde abrundete, wie es jetzt hier ausgestellt ist. 4. Die Dialektik von Fortschritt und Bremsen Eine Schwelle bremst die aktuelle Geschwindigkeit ab und erfordert danach eine neue Beschleunigung. In seinem Statement zu seiner Arbeit legt Ahmet Dilek Wert auf das Innehalten, den Moment der Bewusstwerdung, der durch die Störung des flüssigen Ablaufs der Demonstration möglich wurde. Hiermit kommt das Werk der Idee eines Denkmals nahe, das ja den Passanten zum Innehalten bewegen soll. Seine Beständigkeit ist der Demonstration wie auch der Parade oder dem Triumphzug entgegengesetzt, die sich als ephemere Ereignisse zum Zeichen der Freude über einen Sieg, als Teile eines Festes oder eine politische Kundgebung nur an bestimmten Tagen und - im Idealfall ohne anzuhalten - über die öffentlichen Straßen und Plätze bewegen. Deren ungebremste Bewegung kommt dem Wunsch entgegen, der Festtag und das Gedenken an den Sieg über die alten Verhältnisse möge andauern wie die geänderten Verhältnisse selbst auch. Das Bremsen ist also für einen Demonstrationszug |
ein Eingriff, der
genau die potenziell als Endlosigkeit gedachte
Bewegung aufhält. Es entsteht ein Paradox, denn das
Gedenken an den Akt, mit dem der Verlauf der bisherigen
Geschichte gestoppt wurde, möchte selbst zeitlos sein,
weil mit dem Fest- und Feiertag tendenziell die Zeit zum
Stillstand kommen soll. Hier reibt sich auch symbolisch
die Kraft der Bremse am Rad, das in der Bewegung
verharren möge. Im Aufhalten der Demonstration zeigt sich die Dialektik von Fortschritt und Bremsen sowie von Statik und Dynamik der historischen Kräfte. Diesem Verhältnis folgend, gibt Walter Benjamin zu bedenken, dass Revolutionen keinesfalls die Geschichte antreiben würden, sondern sie vielmehr ihre Notbremsen sein könnten. Ein Zitat aus dem Konvolut, mit dem die "Geschichtsphilosophischen Thesen"* vorbereitet worden sind, lautet: "Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotiven der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse." *Manuskript 1100 | Benjamin-Archiv, Vorstudien zu den Geschichtsphilosophischen Thesen | Gesammelte Schriften, Band 1, S. 1232 Es ist möglich, dass er dabei das Bild vom Rad der Geschichte vor Augen hatte. Anders als Marx, der an eine Beschleunigung des Rades dachte, sieht Benjamin die revolutionäre Einflussnahme im Bremsen. Damit entspricht er der Vorstellung, die mit dem neuzeitlichen Wunsch verbunden ist, das Glücksrad anzuhalten, sobald der Frieden auf dem Zenit des Reifens steht. Johannes Lothar Schröder |
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