Die Zugänglichkeit der Kulturlandschaft aber auch die Erschließung von schwer zugänglichen Landschaften wie Gebirge, Wüsten oder Regenwälder erleichtert immer größeren Kreisen eine individuelle Erkundung.8  Eine nicht dem Nutzen sondern der Erfahrung verpflichtete Annäherung an die Landschaft unterscheidet sich jedoch grundlegend von den Absichten der Technologienutzer, die etwa auf der Suche nach Rohstoffen die Erdober- fläche scannen, sie wegen infrastruktureller und landwirtschaftlicher Projekte untersuchen oder aus Gründen der Kriegsführung ihr Profil berech- nen. Deshalb wird ein eigensinniger Blick auf die Landschaft und eine anthropologisch orientierte Realisierung durch Artefakte zu anderen Ergeb- nissen kommen.

V. Resümee

Das Verhalten von Künstlern heute zeigt an, dass sie eine andere Richtung eingeschlagen haben, als die meisten zeitgenössischen Denker, die von einer, durch Beschleunigung im internationalen Verkehr und bei den Geldflüssen hervorgerufene Vernichtung des Raums ausgehen. Dagegen entdecken Künstler auch mittels Technologie die Landschaft und damit den Raum neu. Es ist in dieser Hinsicht bemerkenswert zu sehen, dass der Soziologe Markus Schroer9 die Positionen der Negation des Raumes von Nietzsche bis Virillio durch die Behauptung in Frage stellt, dass wir in einem Zeitalter der Ausweitung des Raums leben, weil Medien den Raum erst geschaffen haben. In den Arbeiten wie sie uns Burmester hier zeigt, können wir diese neue Sicht auf die Landschaft und damit den Raum in seiner Ausdehnung nachvollziehen. Doch stellt sich hier der Raum vollkommen anders dar, als er durch Perspektive und Geometrie darstell- bar geworden ist. Natur wird nicht mehr abgebildet, sondern entsteht als ein inneres Bild, das der performativen Darstellung bedarf. Die  Relikte, wie auch die ganze Installation sind bei Burmester eher eine Beschäftigung mit der inneren Natur des Menschen, der sich den Einflüssen der Gesellschaft temporär entzogen hat. Daher bleibt die Landschaft nicht nur eine durchquerte Gegend, vielmehr wirkt sie mit ihrer Fauna und Flora stark auf den Wanderer ein. Sie zeigt ihm die archaische Kraft des Werdens und Vergehens, die seit jeher in ihr als Lebensspenderin steckt. Diesem Austausch zwischen allen Lebewesen und der Materie kommt der  Wandernde nahe,
was insbesondere heutigen Auffassungen entgegenläuft, das die naturwissenschaftliche Erkenntnis, die durch das Internet allgemein verfügbar geworden ist, der einzige angemessene Modus der Naturdarstellung ist.

Johannes Lothar Schröder

Während eines frühen Stadiums dieses Textes vor der Ausstellungseröffnung - er umfasste etwa ein Drittel der jetzigen Version - äußerte sich Jörn Burmester folgendermaßen dazu:

Von      Jörn J. Burmester
An       Johannes Lothar Schröder   
Betreff 2 Kommentare zu Landschaft 2.0


  1. Minimaler Optimismus in Bezug auf die Appropriation komplexer Technologien dank einfacher Benutzeroberflächen ist möglich. Meine Wanderung wurde erst möglich durch die zivile und nicht regelgerechte Nutzung der militärischen Technologie GPS. Die neue Landschaft wäre quasi eine neue Benutzeroberfläche der Natur, die den kulturellen Begriff der Natur wieder einmal neu konstituiert (und kolonisiert). Aber wie weit entzieht ein neuer Blick "Natur" tatsächlich der romantischen Erfahrung? Ich kann nachts in den Wald gehen, weil das GPS mich wieder heraus führt. Wenn ich in der Nacht anhalte, bin ich trotzdem allein mit mir und dem Getier.

  2. Das GPS zeichnet die Linie, die ich gehe, auf. Diese Linie kann ich ausdrucken und im Einstellungsraum an die Wand heften. Details, Umwege, Sackgassen werden nacherzählbar. Den Horizont der Bedeutung muss ich erst in die Daten einziehen. Das ist vielleicht etwas metaphorisch herbeigezogen: Technologie öffnet neue Wahrnehmungen, z.B. Elektronenmikroskopie. Wir sehen aber nur, was wir uns vorstellen können, z.B. dass die Milben aus dem Sofakissen aussehen wie die Monster aus unserem (kollektiven?) Unterbewussten.
Jörn J. Burmester

8 Ausrüstungen und Maschinen suggerieren ein Gefühl der Überlegenheit über die Natur, das Unabhängigkeit verspricht, aber vielen selbst ernannten Entdeckern zum Verhängnis wird. Aus den amerikanischen Nationalparks mehren sich Berichte von Besuchern, die außer GPS-Geräten weder Karten, noch Kompasse und oft nicht einmal Wasser geschweige denn angemessene Kleidung dabei haben. Leslie Kaufman: Technology leads more park visitors into trouble, in: World and Press, Dec. 2010, p. 5.
Hier zeigt sich, dass der Aufenthalt in der Natur auch überlieferte Kompetenzen und Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst und mit alltäglichen klimatischen und relativ normalen geographischen Bedingungen erfordert, die nur in einer urbanen Umgebung vernachlässigt werden können.
9 M.Sch.: Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums, Frankfurt am Main 2006
Performanz 03.02.2011                          
Performanz 25.02.2011
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Die 01. Ausstellung im Jahresprojekt  Autos fahren keine Treppen  des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
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