Thomas
Piesbergen
Die Architektur der Seele Zur Ausstellung „Cosmic Poetics“ von Anna Bochkova im EINSTELLUNGSRAUM e.V., März 2021 In einem
Interview zu der Zukunft der Museen in Hinblick auf
deren Nachhaltigkeit prognostizierte Hans Ulrich
Obrist im Januar 2021, es werde sich über kurz oder
lang die Einsicht verbreiten, Kunst könne nicht auf
unbestimmte Zeit in stetig wachsenden Archiven
gelagert werden. Alle Ressourcen auf der Erde
wären begrenzt und so könne auch die Kunst nicht
Anspruch auf unbegrenzt wachsenden Raum und unbegrenzt
zunehmende Energie zur klimatisierten Lagerung
erheben, die notwendig ist, alle Werke, die in den
Museen auch weiterhin archiviert werden, gemäß
derzeitiger Standards für die Nachwelt zu erhalten.
Irgendwann käme die Zeit, in der, so Obrist,
Prioritäten gesetzt werden müssen. Es müsse selektiert
werden, welche Kunstwerke zu erhalten sich wirklich
lohne, und welche man ihrer natürlichen
Vergänglichkeit überlassen müsse, so wie man sich
schließlich auch in die Vergänglichkeit aller
materieller Dinge schlechthin füge.
Diese Vorstellung, kulturelles Erbe bewußt der Vergänglichkeit zu überlassenen, wirkt im ersten Moment, trotz aller Schlüssigkeit der Argumentation, schockierend. Warum? Kunst ist immer Zeugnis für das subjektive Erleben in einem historischen Kontext, sie ist Ausdruck eines wahrnehmenden Individuums, das, vor dem Hintergrund der persönlichen Geschichte, auf die Gegebenheiten seines Umfelds und seiner Zeit reagiert. So werden durch Kunstwerke nicht nur verschiedene spezifische Zustände eines größeren kulturellen Entwicklungsstroms und dessen Quellen und Zuflüsse in eine materielle Form gebracht und dadurch zugänglich gemacht, sondern in ihnen bilden sich auch die schaffenden Persönlichkeiten ab. |
Durch
Kunstwerke ist es schließlich möglich, mit diesen
Persönlichkeiten in einen, wenn auch eingleisigen,
Kontakt zu treten. Denn in einem Archiv der Kunst werden
nicht nur Bilder und Objekte verwahrt; in ihm werden -
ganz im Sinne der Redensart „Wer schreibt, der bleibt“ -
Aspekte künstlerischer Persönlichkeiten gespeichert.
Der Essayist und Philosoph Theodor Lessing schrieb über sein eigenes Werk, es sei eine Flaschenpost, die er ins Eismeer der Geschichte werfe. Zwar drückt sich darin zunächst seine pessimistische Weltsicht aus, gleichzeitig aber ist die Hoffnung auf eine Wiederauferstehung seiner Gedanken ausgedrückt, denn schließlich kann die Flaschenpost, selbst wenn sie in einem Eismeer eingefroren wird, doch noch in unbestimmter Zukunft einen Empfänger erreichen. Geschieht aber eine Selektion der Kunst, werden nicht nur die Werke der Vergänglichkeit zum Opfer fallen, mit ihnen überantworten wir auch ihre Schöpfer endgültig dem Nichts. Und so, wie wir mit jedem Tod eines Anderen auf unsere eigene Endlichkeit zurückgeworfen werden, ist uns diese Vorstellung einer Auslöschung des Anderen in seinem Werk ebenso schwer erträglich, wie der faktische Tod selbst. Der russische Philosoph Nikolai Fjodorov entwarf 1913 in seinem Aufsatz „Das Museum, sein Sinn und seine Bestimmung“ einen Staat, der agiert wie das Kuratorium eines Museums. So wie man sich bisher in einem Museum darum bemühte, die geronnene Essenz kunstschaffender Menschen für die Ewigkeit zu konservieren, so sollte auch eine Regierung darum bemüht sein, die Einzigartigkeit jedes Menschen anzuerkennen, und sich dementspre-chend konsequent um das Wohlergehen dieses Menschen sorgen, bestenfalls dessen Unsterblichkeit erwirken. Denn die Unsterblichkeit, so Fjodorov, würde dem Überlebenskampf der Individuen mit seiner destruktiven Konkurrenz ein Ende setzen, eine endgültige Gleichheit alles Lebendigen herbeiführen und auf diesem Weg eine im materiellen begründete, transzendente Einheit alles Lebendigen ermöglichen. |
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