Häuten, die von der Decke baumeln, wie die abgezogenen Häute von Schlachtvieh. Das Motiv wiederholt sich. Im Tod sind wir alle gleich. Auch wir werden einmal unserer Haut, unserer Erscheinung, unserer Empfindungsfähigkeit, unserer Schnittstelle zur der Welt, unserer Identität beraubt sein. Die Schockwirkung, die diese abstrahierte Zurschaustellung der Haut im Gegensatz zu der Aufbahrung von Schädeln und Knochen auslöst, ist so frappierend wie folgerichtig.

Denn während das memento mori ehemals noch die Mahnung ausdrückte: „Bedenke die Vergänglichkeit des Fleisches mit all seinen Gelüsten angesichts der Ewigkeit, die Dich erwartet!“, kann uns ein memento mori in unserem gegenwärtigen Zusammenhang nur auf das stoßen, was wir verlieren werden, und so nur um so deutlicher zu machen, wie wertvoll dieses Leben ist, diese Gegenwärtigkeit, dieses von unserer wunderschönen, sensiblen, vergänglichen Haut umhüllte Sein.




Und mit dieser Aufforderung, die in jedem memento mori steckt, verharrt der Werkkomplex Erdenrest nicht in einer fatalistischen Haltung, die nur noch die Depression zulässt, sondern sie soll ein Weckruf sein, der uns zu einer Lebendigkeit zurückführt, die sich ohne Angst und Abwehr der Endlichkeit stellen kann, um angesichts derer den Wert des Lebens neu zu bemessen, und uns nach einer Haltung streben lässt, jeden Schritt, den wir auf den Abgrund zu gehen, nicht als lebende Leichname zu machen, die in ein digitales Nichts, eine zeitgeistige Nichtigkeit oder eine imaginierte Zukunft flüchten, sondern jeden Schritt mit Achtsamkeit und mit vollem Bewusstsein zu tun, und ihn in all seiner Würde, Schönheit und Einmaligkeit zu erfassen.

Deshalb möchte ich mit einem Ausblick in die Lebendigkeit und einem Zitat von Horaz zum Ende kommen:

"Indem wir sprechen, fliehen die neidischen Jahre.
Ergreife den Tag, und traue nicht leichtgläubig dem kommenden."

Horaz, Oden I 11 An Leuconoe, übersetzt von C.F.K. Herzlieb und J.P. Uz


© Dr. Thomas J. Piesbergen / VG Wort, Mai 2018

Die 4. Ausstellung zum Jahresprogramm (Keine) Wendemöglichkeit 2018 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.

Präsentation
Vernissage
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