Verwüstung
des Menschen durch den Dialog der Grausamkeiten.
Angela Breidbach nimmt den Blickwinkel von
Benjamins Engel der Geschichte ein, der
in allem nur eine „einzige“ Katastrophe sieht,
die er heilen möchte.
Ausgangspunkt und Zielort dieses Versuchs sind
Fotografien, die Breidbachs Vater, der als
Kindersoldat zum Flak-Dienst eingezogen wurde,
im Schützengraben während der Bombardierung
Aachens aufgenommen hat. Nach Angela Breidbachs
Umzug von Aachen nach Hamburg kamen als eine
zweite wichtige Quelle Fotografien hinzu, die
Hamburger Feuerwehrleute von der ausgebrannten
Stadt nach dem Feuersturm aufgenommen haben.
Diese und andere Bilder hat sich Angela
Breidbach durch den subjektiven Akt des
Zeichnens angeeignet, die privaten und
öffentlichen Fotos durch die Transformation des
Zeichnens zu eigenen inneren Bildern gemacht.
Als Zeichenmaterial wählte sie dazu intuitiv die
Kohle. Kein anderes Zeichenmedium könnte den
verkohlten Ruinen und den durch das Feuer in all
seinen Erscheinungsformen vernichteten
Lebenswelten gerechter werden. Die Bilder
wiederum sind mit fremden und eigenen
Kommentaren überlagert; ein Hinweis auf die
Schichten versuchter Deutung, die sich bereits
über das Vergangene gelegt haben.
Das Ergebnis ist eine als Folge lesbare
zeichnerische Aneignung in 43 Bildern. An ihrem
Anfang stehen die Zerstörungen von Coventry und
London, kommentiert von Hitlers
größenwahnsinnigen Racheandrohungen. Doch schon
bald stoßen wir erstmals auf das Gesicht des
Traumas: das Portrait eines englischen Jungens
vor der verkohlten Ruine seines Elternhauses.
Die weitere Folge der Bilder führt durch die
Ruinen zerstörter Städte und Faksimiles von
Abschussprotokollen aus dem Besitz des Vaters
der Künstlerin. Wir sehen den „Arbeitsplatz“ des
Vaters, der als Richtschütze die feindlichen
Flugzeuge anvisierte und das Feuer frei gab. Und
schließlich stehen wir vor dem zweifachen
Portrait des Vaters an der Flak, das wie eine
Spiegelung des Jungens aus London wirkt.
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Das
Trauma des Opfers und das Trauma des Täters
verschmelzen zu einer Wunde. Daneben wird ein
Brief der Schwester des minderjährigen
Flak-Helfers gezeigt, der die komplexe
Eingebunden- heit des Jugendlichen in die
Strukturen des Krieges veranschau-licht. Zwar
wird er von seiner Schwester als „Lieber Spatz“
angeschrieben und dadurch als Kind
gekennzeichnet, doch gleichzeitig wird er
gefragt, ob ihm denn auch die Ehre teil würde,
wie ein echter Soldat gegrüßt zu werden, denn er
hätte doch genauso Teil an den „Erfolgen“ der
Wehrmacht, wie „richtige“ Soldaten. Die Früchte
dieser angeblichen Erfolge werden auf den
Zeichnungen überdeutlich.
Schließlich sehen wir die zweifach phallische
Erscheinung eines SS-Mannes, umschwärmt von
jungen Frauen, wie das Licht von den Motten.
Eine von ihnen könnte die Schwester des jungen
Flak-Helfers sein.
Ein Mittel auf das wir in der Bilderserie
mehrfach stoßen ist die Spiegelung und der
Versuch, die unsichtbare Grenze dieses Spiegels,
dieser Polarität sowohl der Kriegsdialektik, als
auch der künstlerischen Perspektive zu
überschreiten.
Neben der offensichtlichen Spiegelung von
traumatisiertem Opfer und traumatisiertem Täter
finden wir auf den Blättern immer wieder
Textpassagen, die in Spiegelschrift geschrieben
sind. Sie sind Spuren des Versuchs, in die
innere Wirklichkeit des Gezeigten einzudringen,
so als betrachte man das Dargestellte nicht von
außen, sondern als blicke man aus dem
Dargestellte heraus und sei Teil des subjektiven
Erlebnisses, das dem Betrachter aus den Bildern
entgegentritt.
Andere kommentierende Textpassagen sind in
gewöhnlicher Schrift gehalten und stammen aus
Büchern von Jonathan Safran Foer und W.G.
Sebald. Der Amerikaner Foer ist Enkel eines
Holocaustüberlebenden. Der Schriftsteller und
Literaturwissenschaftler W.G. Sebald hingegen
ist ein Deutscher, Sohn eines
Wehrmachtsoffiziers, der Deutschland verließ,
sobald es möglich war, in der Schweiz studierte
und anschließend nach England, das Land des
ehemaligen Kriegsgegners, zog, wo er bis zu
seinem Tod lehrte und schrieb.
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